Neue Zürcher Zeitung, Donnerstag, 7. Januar 1999
Kein Eastpack™
ohne Moritz R®


In seinem neuen Bildband spinnt der Maler Moritz R® seinen persönlichen roten Faden durch die sichtbare Seite der Popkultur

Von Jürgen Teipel
"Glamrock" war 1998 das Wort des Jahres. Gemeint war damit vor allem David Bowie, der in den 70ern eher unter "Transvestitenmusik" lief. In den visuell geprägten 90ern ist ein wenig Glitzer scheinbar wichtiger als jedes Stigma, das diese eigentlich völlig biedere Zeit zu vergeben hatte.
Allerdings sieht 1999 auch nicht so aus, wie man sich das in den 70ern dachte. Zwar piept nirgends der Schnelle Brüter, aber man schwebt auch nicht in Magnetbahnen zwischen temperierten Glaskuppeln hin und her - Ergebnis einer Bewegung, die mit damals kaum absehbarem Dogmatismus 20 Jahre lang jeden Glitzer im Leben getötet hat. Und die nun ausgerechnet dann an die Macht kommt, als sich niemand mehr für sie interessiert.
Daß der Maler Moritz R® diese ganze Zeit einige Male auf den Punkt gebracht hat, legt nicht nur sein neues Buch nahe, das auch die Bühnenbilder für seine trendsetzende New Wave-Gruppe "Der Plan" und Plattenhüllen für "Depeche Mode" oder Sun Ra enthält, sondern auch die Glamrock-mäßig silberne Schallplatte bei ihm im Wohnzimmer. Allerdings hat er sie gar nicht für seine visuelle Rundumbetreuung von Andreas Dorau´s Hit "Girls in Love" bekommen, sondern dafür, daß er bei den Konzerten in Frankreich als Bär aufgetreten ist.
Moritz R® hat noch nie Berührungsängste mit Pop gehabt. "Ich habe mir immer eine Gemälde-Hitparade gewünscht", sagt er. "Damit sich ein Bild beim Volk beweisen muß und nicht durch Theoretiker erklärt wird."
Von dieser Bodenständigkeit waren die 70er weit entfernt. Moritz R® malte damals Flugblätter für die "Liga gegen Imperialismus". Der Vorsitzende Jörg Immendorf kam mit Mao-Gemälden später selber zur Kunst. Vorher war Malen für ihn nicht angesagt. Alles mußte im Dienst der Partei stehen.
Moritz R® traf 1978 den Tschechen Milan Kunc, der Pepsi-Dosen, Hamburger oder Hammer und Sichel auf Pappschilder malte und damit demonstrieren ging. Während Immendorf mit roter Propaganda kokettierte, beschäftigte sich der wahre Sozialist Kunc schon lange mit dem Konsumenten.
Von da an malte Moritz R® Bilder, die wie Popsongs funktionierten. Sie sollten Geschichten erzählen und auch Leute ohne theoretischen Hintergrund ansprechen. Vom Thema her ging es meistens um Technik, also um etwas, was für viele Leute zum Alltag gehörte, auch wenn von Grünen stets dagegen moralisiert wurde.
"Für die war ich schon reaktionär, weil ich Hochhäuser mochte", sagt Moritz R®. "Und weil ich ein Set mit Plastiktassen aus den 60ern hatte. Darüber mußte ich ständig diskutieren."
Punk zu werden und sich die Haare zu schneiden war für ihn dann ein Akt der kulturellen Befreiung. Für die Grünen war das genau so faschistoid, wie seine ironischen Hakenkreuzsuchbilder.
Zusammen mit dem "Neuen Wilden" Martin Kippenberger war Moritz R® darin ab jetzt führend. In Kippenberger´s Klassiker "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen" ist beim besten Willen kein Hakenkreuz zu erkennen. Nur abstrakte Haken. Mit dem selben Witz versteckte Moritz R® Hakenkreuze vor allem in Grünpflanzen.
Mehr als mit Malerei war er damals mit der sichtbaren Seite des "Plan" beschäftigt. Dazu gehörte vor allem, die eigene Identität zu verschleiern. Allerdings nicht auf die verkniffene Art, mit der die "Residents" sich zu Avantgarde-Stars stilisierten. Mit seinen überspitzt-technoiden Pappmasken stellte "Der Plan" der düsteren Seite des Punk lebbare Freundlichkeit entgegen.
Den Volksnerv traf Moritz R® dann mit der Hülle zu Andreas Dorau´s Hit "Fred vom Jupiter". Mit seiner "Barbie verliebt sich in Astronauten"-Szene entwarf er nicht nur die Vorlage für das niedliche Aussehen der Neuen Deutschen Welle, sondern drückte auch das steigende Interesse am schlechten Geschmack aus. So bedeutete ein Rucksack damals wenigstens Hippie-Schlappheit, wenn nicht sogar Hitlerjugend. Weshalb es gut sein kann, daß wir ohne den Rucksack auf der 82er Dorau-LP heute alle ohne Eastpack™ herumlaufen müßten.
New Wave übernahm Nazi-Images jedenfalls nie so unreflektiert wie jetzt Rammstein oder Joachim Witt. Ernsthaft bezog sie sich erst wieder auf die 20er Jahre. Wie schon "Kraftwerk" bei der "Mensch-Maschine" bedienten sich die ganzen 80er immer wieder beim Rot-Weiß-Schwarz des russischen Konstruktivismus.
In Deutschland kamen noch Expressionismus und Surrealismus dazu. Was man leicht in den falschen Hals bekommen konnte. Moritz R®´s buntes Szenenbild für Rainer Kirberg´s Film "Die letzte Rache", in dem die menschenfressende Pflanze aus Roger Corman´s "Little Shop of Horrors" im Ambiente von Robert Wiene´s "Dr. Caligari" kindliche "Plan"-Lieder singt, war das krasse Gegenteil der Trümmerkinder-Optik der Einstürzenden Neubauten.
"Die haben ihren Beitrag zum teutonischen Theater der 80er geleistet", lacht Moritz R®. "Da lagen doch nur blutige Juden auf dem Boden, nackte Frauen schrien, jemand spazierte in SS-Uniform auf und ab. Einfach humorlos."
Anfang der 90er gab es dann einen ähnlichen Punkt wie Mitte der 70er. Kunst hatte mit Pop nichts mehr zu tun. Obwohl sie lieber Pop als Kunst gewesen wäre. Das Problem war nur, daß sie trotzdem Avantgarde bleiben wollte. Und nichts war in den 90ern unpopulärer als Avantgarde.
Das war allerdings nicht der Grund, warum eine ansonsten alles-integrierende Popkultur vor allem visuell oft nur noch an Oberflächen kratzte. Das lag eher an ihrer Zusammensetzung aus schon Dagewesenem. Und wenn sogar Neues, wie ein Flyer von David Carson, sich nicht aus körperlichen Möglichkeiten ergibt, sondern aus denen von QuarkXPress, also beliebig reproduzierbar und deshalb nicht einzigartig ist, muß man sich mit der Entzifferung auch nicht aufhalten.
Moritz R® war amüsiert und bestürzt zugleich, daß seine letzten, mit Plottern ausgedruckten Bühnenbilder von den meisten Leuten für 3D-Körper gehalten wurden. Ein Grund mehr, seine neue, gerade in München gezeigte Serie von metergroßen Plattenhüllen wieder in Handarbeit zu malen.
"Bei den Schriften dachte ich:&Mac226;Bist du noch ganz dicht? Am Mac drückst du einen Knopf und das Ding sitzt wie eine Eins.‘ Mich hat sogar gestört, daß man die Pinselstriche sieht. Ich mußte erst wieder lernen, daß der Reiz im Original liegt."
Trotzdem sieht er sich nicht irgendwann als einsamen Kauz mit Pinsel dastehen: "Die 90er-Generation gefällt mir wieder sehr gut. Ich muß nichts mehr so umständlich erklären wie damals. Mit denen kann ich über alles reden. Werbung, B-Movies, Plastik, Beton - alles was mal Tabu war, ist jetzt normal."

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Literatur:

Moritz R®: "Popkatalog, Vol.1 - Postpsychedelische Malerei" (Verlag Grüner Zweig
, ISBN 3-925817-97-2, 128 Seiten, Farbe)
Moritz R®
: "Der Plan" (Verlag Martin Schmitz), ISBN 3-927795-08-9, 190 Seiten)